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Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig?
Der Filmstoff, aus dem Helden sind: 1983 spielte Sam Shepard den legendären Testpiloten Chuck Yeager in Philip Kaufmans "The Right Stuff", einem Leinwandepos über die Anfänge des US-Raumfahrtprogramms. Seine darstellerische Leistung brachte Shepard, der selbst Zeit seines Lebens unter Flugangst litt, eine Oscar-Nominierung ein. Fraglos zu Recht, denn in seiner Rolle als Yeager verkörperte Shepard perfekt jene eigentümliche Mischung aus Wagemut, radikalem Individualismus und Aufopferung, die amerikanische Erzählungen ungebrochen lieben.
Nun ist Shepard im Alter von 73 Jahren an den Folgen der Nervenerkrankung Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) gestorben. Mit ihm geht einer der vielseitigsten Künstler seiner Generation.
Denn die Draufgänger-Persona aus "The Right Stuff" war nur eine Facette Sam Shepards, so wie die Schauspielerei lediglich seine zweite, wenngleich sehr erfolgreiche Karriere sein sollte: Als seine Laufbahn als Darsteller begann, galt Shepard längst als einer der bedeutendsten US-Dramatiker der Nachkriegszeit. Mehr als vierzig Bühnenstücke schrieb er seit seinen Anfängen am Off-Off-Broadway in den Sechzigern.
Und so war es vor allem das besondere Spannungsverhältnis in Shepards kreativer Tätigkeit, welches ihn als Künstlerpersönlichkeit so faszinierend machte: Hier war ein Mann, der zugleich Avantgardist und All-American Hero sein konnte. In seinen Bühnenstücken legte er oftmals schonungslos Sollbruchstellen des amerikanischen Traums offen, doch auf der Leinwand wurde er nicht selten selbst zur Projektionsfläche für die Sehnsucht nach lakonischen Cowboys, die dem lädierten Mythos Amerika ein markantes Gesicht geben.
Viele Umzüge, die zerrüttete Beziehung der Eltern
Das war nicht unbedingt zu erahnen, als Sam Shepard Rogers IV im Jahr 1943 in Fort Sheridan Illinois geboren wurde. Als ältester Sohn eines alkoholkranken Armeeoffiziers war seine Kindheit geprägt von diversen Umzügen und der zerrütteten Beziehung seiner Eltern. An der Highschool in Kalifornien begann er, Gedichte zu schreiben und versuchte sich erstmals auf der Bühne. Ein begonnenes Studium der Agrarkultur am Mount Antonio Junior College endete abrupt, als ein Tourneetheater, die Bishop's Company Repertory Players, Station in der Stadt machte. Shepard schloss sich dem Theater an, und nach mehrmonatiger Tour zog es ihn schließlich nach New York.
Die klassische Aushilfstätigkeit als Kellner - in seinem Fall im Village Gate - brachte den jugendlichen Fan von Jazz und Samuel Beckett über die Runden, während er an seinen ersten Einaktern arbeitete. Entscheidend für Shepards Durchbruch als Dramatiker sollte die Gruppe Theatre Genesis sein, die 1964 seine ersten beiden Stücke "Cowboys" und "The Rock Garden" zur Aufführung brachte.
1966 erhielt Shepard ein Stipendium der University of Minnesota und vollendete mit "Chicago", "Icarus' Mother" und "Red Cross" weitere Einakter - die alle drei mit dem OBIE Award ausgezeichnet wurden. Im darauffolgenden Jahr gewann Shepard die begehrte Auszeichnung der Village Voice erneut, diesmal für sein erstes abendfüllendes Stück "La Turista", das allegorisch den Vietnamkrieg beleuchtete und damit den Nerv des Publikums traf.
Außereheliche Affäre, Umzug nach London
Shepard, der 1969 die Schauspielerin O-lan Jones Dark heiratete, war nunmehr ein aufsteigender Star der Gegenkultur. Er spielte Gitarre und Schlagzeug in der Rockband Holy Modal Rounders, und neben seinem weiterhin immensen Output für die Bühne wagte er erste Schritte als Drehbuchautor, so etwa für Michelangelo Antonionis "Zabriskie Point" (1970). Symbolsatt und ohne linearen Plot zeitigte Antonionis Film in Teilen dann auch ähnliche Qualitäten wie Shepards Theaterstücke.
Nach einer Aufsehen erregenden außerehelichen Affäre mit der jungen Rock'n'Roll-Poetin Patti Smith siedelte Shepard mit seiner Familie für einige Jahre nach London über, bevor er 1974 als Hausautor an das renommierte Magic Theatre in San Francisco kam. Dort sollte er in den folgenden Jahren seine einflussreichsten Dramen verfassen, allen voran "Buried Child", das 1979 mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet wurde. Mit seiner dysfunktionalen Familienaufstellung - die durchaus autobiografische Aspekte durchscheinen lässt -, der wehmütigen Beschwörung des verlorenen Westens und dem Abgesang auf private wie öffentliche Heldenbilder ist das Stück fraglos der Schlüsseltext in Shepards Werk und fand so Eingang in den Kanon der amerikanischen Literatur.
Shepard setzte seine Serie von gefeierten Bühnen-Familientragödien fort, so etwa mit dem oft aufgeführten "True West", doch auf dem Höhepunkt seiner Karriere als Dramatiker begann zugleich seine verstärkte Verlagerung hin zum Film. Als Darsteller trat er bereits 1978 in Terrence Malicks stilprägendem "Days of Heaven" auf, zudem wirkte er als kreativer Sparringspartner von Bob Dylan - den er auf der Rolling Thunder Revue begleitete - vor wie hinter der Kamera an Dylans "Renaldo and Clara" mit. In den Achtzigern rückte das Kino dann noch mehr in den Mittelpunkt, auch weil Shepard dort kongeniale Mitstreiter fand, darunter seine langjährige Ehefrau Jessica Lange, mit der er gemeinsam in dem Drama "Frances" (1982) spielte.
Zwischen Intellekt und Körperlichkeit
Mit Wim Wenders verband ihn derweil eine besonders innige Arbeitsbeziehung, die im gemeinsamen Drehbuch zu "Paris, Texas" (1984) ihren preisgekrönten Niederschlag fand. Wie Shepard arbeitete sich auch Wenders fortlaufend an den Mythen des amerikanischen Westens ab, und so war es nur passend, dass der Filmemacher seinen Freund und Co-Autor Jahre später in "Don't Come Knocking" (2005) als melancholisch-modernen Cowboy inszenierte. Und auch Volker Schlöndorff wusste genau um das reizvolle Changieren des Schauspielers Shepard zwischen Intellekt und Körperlichkeit, als er ihn in der Hauptrolle seiner "Homo Faber"-Verfilmung besetzte.
Dass der Avantgarde-Veteran Shepard, der so oft und so luzide über Drifter, Rocker und entwurzelte wie randständige Figuren jeder Couleur schrieb, als Filmschauspieler in den letzten Jahren in Hollywood-Produktionen häufig Autoritätspersonen aus Institutionen wie Politik oder Militär verkörperte, bleibt dabei eine feine Ironie. Als Künstler war Sam Shepard hingegen eine kraftvolle Stimme der Einsamen und der Außenseiter, die oftmals an Amerika zerbrechen, und es doch fortwährend mit ihren Träumen bereichern. Diese Stimme wird nun fehlen.